Die Bedeutung der Herkunft einer Figur

Woher eine Figur stammt, kann ihre Werte bestimmen.

a person far away

Es ist nicht immer notwendig, zu erklären, woher eine Figur kommt. Das Wissen um ihre Herkunft hilft dem Publikum vielleicht nicht, einen Charakter zu verstehen.

Aber für einige Geschichten kann die Herkunft entscheidend sein.

Nehmen wir als Beispiel eine Kontrastgeschichte wie In der Hitze der Nacht (In The Heat Of The Night, Film aus 1967 basierend auf dem gleichnamigen Roman). Polizeichef Bill Gillespie lebt im tiefen Süden der USA und ist ein engstirniger Rassist. Seine Werte sind im Sinne dieser Geschichte auch sein inneres Problem. Dass er ein Rassist ist, überrascht das Publikum überhaupt nicht. Es ist angesichts seiner Herkunft völlig glaubwürdig. Er kommt aus einer Gegend, in der zumindest zu der Zeit eine solche Bigotterie weit verbreitet war. Als der afroamerikanische Detektiv Virgil Tibbs auftaucht, ist ihr Konflikt völlig plausibel.

Worauf wir hier hinaus wollen, ist, dass die Werte einer Figur dem Publikum glaubhaft gemacht werden müssen, was durch eine explizite Darstellung der Herkunft der Figur erreicht werden kann. In vielen Geschichten muss die Herkunft eines Charakters dazu passen, wie dieser Charakter ist. Ihre Herkunft erzeugt die Werte der Figur.

Setting, Herkunft und Erzählwelt

Reden wir über das Setting? Nun, nur in gewissem Maße. Sicherlich bestimmt das Setting bis zu einem gewissen Grad das Verhalten der Figuren – oder besser gesagt, das Verhalten der Figur sollte angesichts des Settings nicht unglaubwürdig sein. Aber es geht nicht nur darum, wo sich die Handlung der Geschichte konkret abspielt – der Autor überlegt sich, woher die einzelnen Figuren stammen, was in manchen Fällen auch anderswo sein könnte. Die Geschichte In der Hitze der Nacht spielt in der Gegend, aus der Polizeichef Bill Gillespie stammt, während Virgil Tibbs aus einer anderen Gegend kommt, die wir in der Story nicht sehen.

„Woher“ eine Figur kommt, muss sich nicht unbedingt nur auf geografische Orte beziehen. Virgil Tibbs‘ Handlungen passen zu seinem Charakter, nicht nur weil er aus Philadelphia stammt, sondern weil er ein afroamerikanischer Polizist ist, der offensichtlich eine gute Ausbildung genossen hat. Das ist sein sozialer Hintergrund.

Außerdem ist das „Wo“ relativ zur Welt der Geschichte. Im Fall von In The Heat Of The Night bringt das Publikum bereits etablierte Konnotationen auf den Mississippi mit; niemand ist überrascht, dort einen Rassisten zu finden. In einer Fantasy-Geschichte wie Der Herr der Ringe müssen solche Konnotationen erst einmal etabliert werden. J.R.R. Tolkien gibt sich große Mühe, zu erklären, wie und warum ein Elf aus dem Wald anders fühlt, denkt und handelt als ein Zwerg in den Bergen.

Was kommt zuerst, die Herkunft oder der Charakter?

Die Umgebung, in der die Figur aufgewachsen ist, wird die emotionale Haltung bzw. die Werte der Figur beeinflussen oder prägen. Eine Autor*in kann diese Binsenweisheit aus zwei Perspektiven betrachten.

Einerseits, wenn es in der Vorstellung der Autor*in festgelegt ist, dass die Figur so oder so ist, dann kann die Bestimmung der passenden Herkunft helfen, die Figur glaubwürdig zu gestalten.

Andererseits kann eine Autor*in wissen, dass eine Figur bestimmte Ursprünge hat, sie sind gegeben und in der Vorstellung der Autor*in klar. Wenn dies der Fall ist, können diese Ursprünge die Autor*in dazu veranlassen, die Handlung auf eine bestimmte Art und Weise zu entwickeln – aufgrund von Handlungen, die die Figur vielleicht anders ausgeführt hätte, wenn sie aus einem anderen Land käme.

Unabhängig davon sind sich Autor*innen im Allgemeinen der Umgebung bewusst, in der die Hauptfiguren aufgewachsen sind und die die Grundlage für die Werte der Charaktere bilden.

Klingt einfach.

Ist es aber nicht. Es erfordert ein hohes Maß an Wissen und Sensibilität von Seiten der Autor*innen. Wenn die Welt der Geschichte in etwa der realen Welt entspricht, dann müssen, sobald Figuren aus verschiedenen Ländern oder Kulturen auftauchen, möglicherweise die in diesen Ländern oder Kulturen vorherrschenden Werte und Glaubenssysteme von der Autor*in recherchiert werden, um die Figur und ihr Verhalten „richtig“ darzustellen. Das heißt, um sie glaubwürdig zu gestalten

Vorgeschichte

Man beachte den Unterschied zwischen der Erklärung des Glaubenssystems einer Figur und ihrer Wertvorstellungen nach Herkunft im Vergleich zur Erklärung durch eine Vorgeschichte. Die Information, dass eine Figur einen bestimmten Ursprung hat, wird in einer bestimmten Szene an das Publikum weitergegeben, und dies kann durch eine Vielzahl von Techniken, wie z.B. Dialog oder Exposition, geschehen. Wenn dem Publikum oder den Lesern die Konnotationen einer angegebenen Herkunft bewusst sind – oder im Falle von fiktiven Welten bewusst gemacht werden – dann ist keine Vorgeschichte notwendig, um zu erklären, warum die Figur so ist, wie sie ist.

Eine Backstory-Erklärung für das interne Problem einer Figur ist insofern anders, als sie sich auf ein bestimmtes Ereignis bezieht, das die Figur beeinflusst hat und das als Ursache für das Verhalten dieser Figur dargestellt wird. Während es eine legitime Technik ist, beeinflussende Ereignisse zu entwerfen, die in der Geschichte als Ursache für das interne Problem eines Charakters dargestellt werden, birgt diese Technik die Gefahr einer zu starken Vereinfachung und Klischees. Manchmal reicht ein einfacher Ursprung aus.

Foto von Warren Wong auf Unsplash.


 

FOLGE UNS!

Abonniere unseren Blog