Beziehungen zwischen den Figuren, Teil 2: Gegenspieler*innen
Drei Arten der Gegnerschaft und zwei Gemeinsamkeiten, die alle Gegenspieler haben.
Erst wenn es in einer Geschichte Gegenspieler gibt, gibt es auch Konflikte. Das müssen nicht zwingend antagonistische Konflikte sein.
Jede Figur in einer Geschichte kann (einen) Gegner haben, nicht nur die Protagonist*in. Zwar steht der Kampf zwischen Protagonist und Antagonist/Antagonismus im Vordergrund der Geschichte, in Wirklichkeit aber gibt es ein ganzes System gegeneinander wirkender Kräfte.
Wie können wir Gegnerschaften differenzieren und typisieren?
- Gegnerschaft kann aus dem Streben nach dem selben oder nach einem entgegengesetzten Ziel entstehen.
- Gegnerschaft kann antagonistisch oder unbeabsichtigt sein.
- Es gibt Gegner von außerhalb und Gegner aus dem inneren Bereich.
Dieselben Ziele oder andere?
Als Autor*in kann es durchaus ergiebig sein, jeder Figur einen Gegner zu geben. Gegnerische Figuren versuchen entweder dasselbe zu erreichen, oder sorgen, indem sie erfolgreich ein anderes Ziel umsetzen, für das Scheitern der erstgenannten Figur.
Mit anderen Worten, die Gegnerschaft (sofern sie nicht zufällig entsteht, dazu weiter unten) ergibt sich in Form von Konkurrenz oder von Bedrohung. Konkurrenz um dasselbe Ziel: Wer erreicht als erster den Südpol? Bedrohung, weil das Ziel des Gegners dem Ziel der anderen Figur entgegensteht: Naturschutzgebiet oder Hotelanlage. Stellen Sie sich das vielleicht konkret für sich am eigenen Beispiel vor: Ihre Gegner streben nach demselben wie Sie, und wenn Ihre Konkurrenz gewinnt, dann gehen Sie leer aus. Ihre Gegner konkurrieren also mit Ihnen um das gleiche Ziel, zum Beispiel dieselbe Person. Oder aber der Gegner will etwas ganz anderes als Sie und wenn er das erreicht, können Sie nicht bekommen, was Sie wollen. Der Erfolg des Gegners stellt insofern eine Bedrohung für Ihr eigenes Wohlergehen dar.
In beiden Fällen ist die Gegensätzlichkeit entweder …
antagonistisch oder zufällig
Der Gegner einer Figur kann gezielt darauf aus sein, zu verhindern, dass die Figur das bekommt, was sie will. In diesem Fall bezeichnet man den Gegner als antagonistisch. Antagonisten schaffen absichtlich und bewusst Hindernisse, um andere Figuren zu blockieren. In den meisten Geschichten hat die Protagonistin bzw. der Protagonist einen Antagonisten oder eine antagonistische Kraft, die sich gegen sie oder ihn aufbaut. Als Beispiel für eine antagonistische Kraft (statt eines Antagonisten als Figur) kann Kafkas Schloss dienen.
Auch wenn die Dualität zwischen Protagonist und Antagonist in der Handlung dominiert, können auch Nebenfiguren ihre eigenen Nebenantagonisten (oder Antagonismen) haben.
Längst nicht alle Hindernisse sind antagonistisch. Es besteht nicht immer die bewusste oder vorsätzliche Intention, andere Figuren aufzuhalten. Im Zusammenspiel einer Anordnung von Figuren werden viele von ihnen vor allem ihre eigenen Interessen verfolgen. Dadurch können sie anderen Figuren ganz nebenbei Schwierigkeiten bereiten. Nur weil sich zwei Figuren gegenseitig in die Quere kommen, sind sie nicht unbedingt Antagonisten. Erst wenn sich die eine Figur der anderen bewusst wird und aktiv gegen diese Figur arbeitet, kann man im dramaturgischen Sinn von Antagonismus sprechen.
Es ist also durchaus möglich, dass eine Figur einer anderen Probleme bereitet, ohne sich dessen bewusst zu sein, oder zumindest ohne zu beabsichtigen, dass die andere Figur Schaden nimmt. Dies ist unbeabsichtigte, zufällige Gegnerschaft. Interessant ist dann die Frage, ob die Figur, die andere in Schwierigkeiten bringt, aufhört, nachdem sie darauf aufmerksam (gemacht) wird, oder nicht. Ist die Figur sozial oder egoistisch? Wenn sie ihr egoistisches Verhalten bewusst fortsetzt, wird sie zum Antagonisten.
Gegner von außerhalb der Gruppe oder aus der Gruppe selbst
Wir identifizieren uns gerne mit einer Gruppe, sei es als Fussballfan der lokalen Mannschaft oder mit patriotischen Gefühlen gegenüber unserem Herkunftsland. Dieses Phänomen ist auf einen Urtrieb zurückzuführen; es handelt sich um einen stammesgeschichtlichen Instinkt.
Als Menschen leben wir nicht allein, sondern in einer Gemeinschaft. Tatsächlich sind wir unser ganzes Leben lang Teil mehrerer Gruppen. In der Schule sind wir Teil einer Klasse; wir schließen uns in Teams zusammen, um Sport zu treiben oder um beruflich zusammenzuarbeiten. So versuchen wir fortwährend, unseren Platz in der Gruppe zu finden und unsere eigenen Bedürfnisse und Wünsche mit den Interessen der Gruppe in Einklang zu bringen. Da jeder als Teil der Gruppe zunächst in der gleichen Position ist, verbringen wir viel Zeit und Energie damit, zu bewerten, was die anderen in der Klasse, im Team oder im Beruf von uns denken, ob sie freundlich gesinnt sind oder nicht, ob wir ihnen vertrauen können oder nicht, ob sie eher Verbündete oder Konkurrenten sind. Und wir tratschen deshalb gern und viel, um potenzielle Verbündete auszuloten sowie mögliche Konkurrenten und Bedrohungen zu erkennen.
Unser Handeln findet also nicht isoliert statt, sondern hat Auswirkungen auf andere in der Gruppe, und darauf, wie andere uns sehen. Innerhalb einer Gruppe versuchen wir stets einen gewissen Status zu erreichen. Niemand mag es, völlig dominiert zu werden. Also finden wir Wege, um Anerkennung oder Respekt zu erlangen. Dies kann durch ein Verhalten erreicht werden, das der Gruppe helfen soll. Schießt eine Spieler*in ein Tor, verdient sie sich den Respekt ihres Teams. Eine andere Technik, um in einer Gruppe eine anerkannte und sogar führende Position zu erlangen, ist egoistisches Verhalten, also Ausüben von Stärke, um so sicherzustellen, dass man in einer bestimmten Situation am meisten profitiert. Unter Umständen führt so ein an sich egoistisches Verhalten nicht nur zur Dominanz innerhalb der Gruppe, sondern auch zu Gruppenvorteilen im Sinne des Stammes: Man sichert sich mehr Ressourcen als andere Gruppen – vielleicht mehr Nahrung oder einen besseren Schlafplatz.
Menschen sind zwischen Altruismus und Egoismus hin- und hergerissen
Altruismus bedeutet, für das Wohl anderer zu handeln und nicht in unserem eigenen individuellen Interesse. Einige Spezies tun dies ganz natürlich, wie Ameisen, Bienen oder Termiten. Wenn sich Hummer auf dem Meeresboden bewegen, laufen sie hintereinander in einer Reihe. Der ganz hinten schützt die Gruppe und opfert sich bei einem Angriff, damit die anderen eine Chance haben, zu entkommen. Dies ist kein bewusster Altruismus der Hummer, sondern eine genetische Programmierung. Uns mag das trotzdem edel erscheinen.
Egoismus bedeutet, dass wir versuchen, das größte und beste Stück Kuchen für uns und unsere engste Familie zu sichern.
Welchen Ansatz wir auch immer als Einzelpersonen verfolgen, es ist erwiesen, dass eine Gruppe angesichts äußerer Bedrohung stärker zusammenrückt: Bedrohung oder Konkurrenz von außen veranlassen uns, unsere Gemeinsamkeiten im Inneren zu erkennen, unsere Differenzen und Streitereien beiseite zu legen und unsere gemeinsame Energie darauf zu konzentrieren, der (vermeintlichen) Gefahr zu begegnen. (Dieser Urinstinkt wurde im Laufe der Geschichte von einflussreichen Personen immer wieder ausgenutzt, indem Bedrohungen von außen inszeniert wurden, um weite Teile der Bevölkerung dazu zu bewegen, sich um ein vermeintlich übergeordnetes Ziel zu scharen, oft, um von den wahren Bestrebungen der geschickten Aufwiegeler abzulenken).
Diese Urinstinkte sind so tief in uns verankert, dass wir darüber nicht nachdenken, sie vielleicht sogar nicht einmal wahrnehmen. Gerade dieses Hin und Her zwischen Altruismus und Egoismus aber ist die treibende Kraft hinter vielen Geschichten, weil es für jegliche Art von Konfliktstoff sorgt. Es kann für Autor*innen also durchaus hilfreich sein, sich mit diesen Trieben auseinanderzusetzen.
Am Anfang einer Geschichte wird uns zunächst eine Gruppe vorgestellt: Ein Setting wird festgelegt und eine Protagonist*in. Dann wird das Setting gestört und die Protagonist*in bedroht. Das Publikum erlebt die Geschichte aus dem Blickwinkel einer Person aus der Gruppe. Die Störung oder Bedrohung mag von außerhalb der Gruppe kommen, sei es die Ankunft eines mysteriösen Fremden oder gar der Angriff Außerirdischer auf die Erde.
Alternativ dazu kann das Publikum in eine Gruppe eingeführt werden, innerhalb derer etwas oder jemand als Gefahr für den Erfolg oder das Überleben dieser Gruppe (empfunden) wird. Es muss etwas geschehen, um die Geschichte in Gang zu bringen – eine Störung –, doch alle Beteiligten sind von Anfang an da. Die Gruppe ist vollständig, der störende Vorfall (inciting incident) löst eine Kettenreaktion von Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe aus.
Zwei Dinge haben alle gegensätzlichen Figuren gemeinsam
Unabhängig von der Spezifik des Gegners – Konkurrenz oder Bedrohung, von innerhalb oder außerhalb, antagonistisch oder zufällig –, zwei Aspekte sind bei der Entwicklung der Figuren zu beachten.
Erstens: Gegensätzliche Figuren drücken gegensätzliche Werte aus. Figuren im Konflikt stehen für das Aufeinandertreffen von Wertvorstellungen. Für das Publikum repräsentiert der Kampf zwischen Protagonist*in und Antagonist*in divergierende Weltanschauungen, von denen die eine wahrscheinlich der anderen vorzuziehen ist. In der Regel wird die Geschichte dem Publikum vermitteln, dass Werte wie Kooperation und Selbstlosigkeit besser sind als Verhaltensweisen, die auf Egoismus und Selbstsucht beruhen.
Zweitens: Gegner und Antagonisten sehen sich nicht unbedingt als solche. In Superhelden-Geschichten mögen sich die Bösewichte als Schurken wahrnehmen, aber in den meisten Geschichten glauben die Bösewichte, dass sie das Richtige tun. Selbst Darth Vader will die Ordnung in der Galaxie wiederherstellen. Wir sehen die Geschichte aus dem Blickwinkel der Protagonist*in; dies bestimmt, mit wem wir sympathisieren. Stellen Sie sich vor, Sie würden die Geschichte vom Standpunkt der anderen Seite erzählen: Wäre der ehemalige Held, der jetzt der Antagonist ist, immer noch derjenige, den das Publikum anfeuert?
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