Beim Publikum Gefühle erzeugen! Nehmen Sie sie mit auf eine emotionale Reise.

The audience' emotional journey

Nichts sollte für AutorInnen wichtiger sein als die Gefühle, die ihre Geschichten beim Publikum hervorrufen.

Achten Sie also sorgfältig auf die emotionale Reise der lesenden oder zuschauenden Personen, während sie sich durch Ihre Erzählung bewegen.

Das Publikum erlebt eine Abfolge von Emotionen, während es in eine Erzählung vertieft wird. Die Erzählstruktur ist also ein wichtiger Aspekt des Geschichtenerzählens. Die Geschichte sollte das Publikum während jeder Szene emotional berühren. Nicht nur das – jede neue Szene sollte ein neues Gefühl hervorrufen, um frisch und überraschend zu bleiben.

Die Aufgabe der Autorin oder des Autors ist es, beim Publikum so schnell wie möglich Einfühlungsvermögen für die Figuren zu wecken, so dass eine emotionale Reaktion auf die Situationen, in denen sich die Figuren befinden, stattfinden kann. Nur dies kann zu körperlichen Reaktionen wie beschleunigtem Herzschlag beim Publikum führen, wenn die Geschichte spannend wird. Mit anderen Worten, was den Figuren passiert, darf dem Publikum nicht egal sein.

Dieses „Einfangen“ des Publikums, das den Leser oder Zuschauer in Verzückung und Faszination versetzt, erfordert von den Autorinnen und Autoren, Ereignisse zu gestalten, die zeigen, wer die Figuren sind und wie sie auf die Probleme reagieren, denen sie sich stellen müssen. Es ist wahrscheinlicher, dass das Publikum mit den Figuren im Verlauf der Handlung mitfühlt, wenn die Reaktionen der Figuren auf die Ereignisse, die ihnen widerfahren, etwas darüber verraten, wer sie wirklich sind – und wie sie uns ähnlich sein könnten.

Eine Reise, um sie alle in den Bann zu ziehen

Hier präsentieren wir ein loses Gefüge, das unserer Meinung nach wahrscheinlich für jede Art von Geschichte passt, unabhängig von Genre oder Medium, wie „literarisch“ oder „kommerziell“ auch immer. Es ist keine feste Abfolge, sondern eher eine grobe Checkliste der Etappen auf der emotionalen Reise, die das Publikum stillschweigend erwartet, wenn es sich auf eine Geschichte einlässt. Die Emotionen sind mehr oder weniger in der Reihenfolge angeordnet, in der sie durch eine Erzählung hervorgerufen werden könnten. 

Neugier

Eigentlich erfüllen das Filmplakat, die Anzeige bzw. das Cover und der Verkaufstext die Aufgabe, Neugierde zu wecken. Aber sobald ZuschauerInnen eingeschaltet oder LeserInnen auf Seite eins geblättert haben, sollte Ihr Einstieg diese AdressatInnen idealerweise schnell in Ihre Geschichte hineinziehen.

Auf der ersten Seite oder während der ersten Sekunden des Films ist es unwahrscheinlich, dass LeserInnen oder BetrachterInnen bereits emotional involviert sind. Sie versuchen, den Schauplatz zu verstehen, die Hauptfiguren kennen zu lernen und herauszufinden, worum es in der Handlung geht. Der Anfang ist wie ein Rätsel – eher eine Übung für das Gehirn als für das Herz. Eine Frage im Kopf der ZuschauerInnen oder LeserInnen mit einem markanten oder mysteriösen ersten Bild oder einer ersten Zeile zu erzeugen, ist nie eine schlechte Idee.

Es ist jedoch nicht Ihr Ziel, die Neugier als Denksportaufgabe aufrechtzuerhalten. So schnell wie möglich wollen Sie die Aufmerksamkeit des Publikums mit etwas Stärkerem als Neugierde fesseln.

Aufmerksamkeit

Sie wollen Ihr Publikum so neugierig machen, dass sie über die ersten paar Seiten oder Minuten hinaus bei Ihnen bleiben. Die erste Szene sollte also in irgendeiner Weise Aufmerksamkeit erregen, vielleicht dadurch, dass mehr Fragen gestellt als beantwortet werden. Es lohnt sich, mit einem starken Auftakt zu beginnen, der das Publikum dazu bringt, mehr wissen zu wollen – nicht nur auf der bewussten intellektuellen Ebene, sondern auch auf einer empathischen.

Empathie

Sie müssen so schnell wie möglich eine emotionale Verbindung mit den LeserInnen bzw. ZuschauerInnen aufbauen, was möglicherweise ein bestimmtes Ereignis, einen bestimmten Vorfall oder eine bestimmte Szene erfordert, die speziell für diesen Effekt entworfen wurde. Das kann etwas scheinbar Unbedeutendes oder Triviales sein, aber definitiv etwas sehr Menschliches. Es geht um die Reaktionsweise Ihrer Hauptfiguren auf etwas, das sich ereignet. Die Art und Weise, wie eine Figur auf einen kalten Kaffee reagiert, könnte für das Publikum ausreichen, um später emotional zu reagieren, wenn dann etwas Schockierendes geschieht. Wenn der Schock ohne das vorherige menschliche Element eintritt – also ohne dass wir etwas darüber wissen, wer die Figur ist -, ist uns der Schock wahrscheinlich egal. Ein Gefühl zum Beispiel der Empörung im Publikum zu erzeugen, funktioniert nur, wenn das Publikum weiß, wer diese Person ist, der etwas Unfaires passiert.

Es gibt Alternativen. Ein spektakulärer Vorfall könnte ausreichen. Oder etwas Geheimnisvolles. Aber welches Ereignis Sie auch immer als emotionalen Aufhänger entwerfen, wichtig ist: Sie müssen sicherstellen, dass das Publikum ein Gefühl für die Hauptfiguren hat.

Erwartung

Inzwischen hat das Publikum ein Gespür dafür, wie Sie die Geschichte präsentieren, z.B. welche Regeln Sie sich für die Erzählperspektive gesetzt haben und um welches Genre es sich bei der Geschichte handelt. Das weckt beim Publikum Erwartungen in Bezug auf die kommenden Szenen.

Ziemlich bald nachdem Sie die Welt der Geschichte etabliert und in Szene gesetzt haben, möchten Sie, dass das Publikum versteht, dass es ein Problem gibt. Oder eigentlich, dass es ein paar Probleme gibt. Die Geschichte wird wahrscheinlich zeigen, wie diese behoben werden (oder gerade nicht). Wenn es sich bei dem äußeren Problem beispielsweise um einen Fall handelt und der Protagonist ein Ermittler ist, wird das Publikum Detektivarbeit erwarten.

Das externe Problem ist der Vorfall, der die Kette von Ereignissen einleitet, die den Protagonisten einer Handlung auf die Reise gehen lässt.

Eine andere Szene, die tatsächlich ein Gefühl der Vorfreude hervorruft, ist die, die dem Publikum zeigt, was die innere Not der Figur ist, d.h. was sie lernen muss.

Engagement

Viele AutorInnen konzipieren bewusst eine Szene, die das Interesse des Publikums am Schicksal der Figuren verstärkt. Manchmal als „Lock-in“ bezeichnet, ist diese Szene als ein Punkt in der Erzählung angelegt, nach dem wir davon ausgehen können, dass das Publikum richtig gefesselt ist.

Eine solche Szene ist nicht zu verwechseln mit dem „Inciting Incident“, der Szene, die das äußere Problem darstellt. Vielmehr ist das Engagement-Lock-in ein Moment, der den früheren Empathie-Moment bestätigt. Es geht darum, beim Publikum eine Art Identifikation mit der Figur zu erzeugen, oft durch das Erkennen ihrer Notlage.

Freude

Sobald die Figuren mit dem Versuch begonnen haben, das äußere Problem zu lösen, ihr Ziel festgelegt und sich auf ihre Aufgabe oder Mission begeben haben, die Person getroffen haben, mit der sie eine neue Beziehung beginnen werden, usw., beginnt der „Spaß & Spiele“-Teil. Hier müssen die Erwartungen, die Sie bei Ihrem Publikum geweckt haben, erfüllt werden, damit es das Gefühl hat, das zu bekommen, wofür es bezahlt hat. Wenn sie sich auf ein Kriminalstück eingelassen haben, geben Sie ihnen Verbrechen und Rätsel. Wenn sie Abenteuer wollen, geben Sie ihnen Action und tolle Schauplätze. Wenn sie eine Romanze erwarten, geben Sie ihnen eine aufkeimende Beziehung, die sich zur Liebesgeschichte entwickelt.

Strukturell gesehen kann innerhalb dieser Phase der Geschichte ein punktuelles Ereignis eintreten, das dem Publikum zeigt, dass die Reise ernst gemeint ist. Dieser „Pinch Point“ gibt den Hauptfiguren zu verstehen, dass sie sich schwerwiegenderen Hindernissen und Schwierigkeiten stellen müssen, als sie dachten. Der Spaß für das Publikum besteht darin, die Figuren außerhalb ihrer Komfortzone zu sehen.

Wunder

Die Halbzeit einer Geschichte ist ein entscheidender Punkt. In der Mitte der Erzählung kann ein Ziel erreicht werden, ein Moment der Wahrheit eintreten, eine Offenbarung stattfinden oder eine große Wende stattfinden. Auch wenn das Ereignis nicht spektakulär sein muss und von dem Publikum zu diesem Zeitpunkt vielleicht nicht einmal in seiner Bedeutung erkannt wird, so ist es doch ein Umstand, der es letztendlich aufrütteln wird.

Der Mittelpunkt ist eine der mächtigsten emotionalen Waffen im Arsenal einer AutorIn. Es geht hier nicht so sehr darum, beim Publikum eine bestimmte Emotion hervorzurufen. Das Gefühl, das das Ereignis hervorruft, kann alles von Entsetzen über Ehrfurcht bis hin zur Vorahnung sein. Es könnte aufregend sein, wie wenn die Titanic in James Camerons Titanic auf den Eisberg trifft, oder ironisch, wie wenn Luke Skywalker in Star Wars Prinzessin Leia findet. Es könnte spektakulär sein, wie wenn Indiana Jones den verlorenen Schatz findet. Oder beängstigend, wie wenn das Alien aus Kanes Brust ausbricht. Oder spannungsgeladen, wie wenn der zukünftige Pate Michael den Polizeichef und den rivalisierenden Mafiaboss erschießt.

Strukturell gesehen markiert dieses Ereignis einen Wendepunkt für die Figuren. Emotional kann es im Publikum beliebig viele Gefühle auslösen.

Trauer

Wenn Ihre Geschichte glücklich endet, dann müssen Sie irgendwann in der Erzählung das Gegenteil von Glück darstellen, damit das Ende funktioniert. Es sollte etwas geschehen, das Ihre LeserInnen oder ZuschauerInnen traurig macht, wie zum Beispiel ein Tod, möglicherweise ein metaphorischer Tod.

Und umgekehrt, wenn Ihre Geschichte tragisch endet, muss es zunächst Freude geben, um die Tragödie umso ergreifender wirken zu lassen.

Ruhe

Um die Nerven des Publikums zu beruhigen, gönnen Sie ihm einen Moment der Ruhe – vor dem Sturm. Eine Art „Lagerfeuerszene“, in der die Hauptfiguren etwas über ihre Vergangenheit preisgeben, das Licht auf ihr Verhalten wirft, kann Ihr Publikum im folgenden Höhepunkt umso mehr für sie empfinden lassen.

Ein Moment der Ruhe kann auch das Gefühl von Bedrohung und Furcht verstärken, wenn die Figuren sich unerbittlich auf die herannahende Krise zubewegen.

Angst

Die Dinge können für den Protagonisten furchtbar schief gehen, die Bedrohung für die Figuren ist so groß, dass es keinen Ausweg zu geben scheint. Ihr Publikum könnte große Augen haben und den Atem anhalten, verängstigt sein und praktisch keine Ahnung haben, wie mit dem scheinbar unüberwindbaren letzten Hindernis umgegangen werden könnte.

Der zweite Pinch Point könnte die Verbindung der Angst, dass alles verloren ist, mit der Enthüllung sein, dass es doch noch einen Weg gibt, alles zu lösen …

Erkenntnis

Ein Moment der Hoffnung oder Entschlossenheit! Verursacht durch eine Enthüllung oder Offenbarung, eine Idee oder einen neuen Plan. Hier sollten die Herzen Ihrer Leser schneller schlagen, wenn sie und vielleicht (aber nicht unbedingt) auch die Figuren ein neues Bewusstsein erlangen.

In vielerlei Hinsicht ist dieser Moment der wichtigste in der Geschichte. Er ist die Szene, in die die Handlung münden soll. Vielleicht lässt sich der Effekt am besten in Detektiv- oder Kriminalgeschichten veranschaulichen, denn in dieser Szene wird der Schleier gelüftet und die Wahrheit enthüllt. Das Rätsel wird schließlich aufgeklärt, die Identität des Verbrechers dem Publikum bekannt gemacht. Die ganze Geschichte führt zu dieser Enthüllung. Was in einem Krimi so sehr ausgeprägt ist, gilt auch für andere Formen des Geschichtenerzählens.

Die Enthüllungsszene wirkt nur deshalb emotional auf das Publikum ein, weil sie bereits angedeutet wurde. Bestimmte frühere Ereignisse haben die große „Auszahlung“ dieses so wichtigen Punktes in der Geschichte „vorbereitet“. Das Publikum erlebt einen kraftvollen „Aha-Moment“, weil eine Reihe von Ereignissen, die zunächst unbedeutend schienen, plötzlich in ein neues Licht gerückt werden.

Bangen

Nur weil das Publikum oder die ProtagonistIn jetzt die Wahrheit kennt, heißt das noch lange nicht, dass die Gefahr vorüber ist. Es kann einen schrecklichen Moment der Krise oder Entscheidung geben, in dem das Publikum vor Beklemmung zittert, während es darauf wartet, ob der Held/die Heldin das Richtige tun wird.

Vielleicht hat der Held in einer Romanze endlich die Wahrheit erkannt, dass er oder sie ohne den Liebhaber nicht leben kann. Nun ist die Sorge, ob diese Figur die Handlung ausführen oder die Entscheidung treffen wird, die das Publikum von ihr erwartet. Die Spannung erreicht einen Höhepunkt.

Aufregung

Die Entscheidung ist gefallen, das Publikum feuert die Heldin an, während sie die letzte Konfrontation durchlebt. Das ist das große Finale in seiner ganzen Aufregung! Zeit zum Nägelkauen.

Erleichterung

Erleichterung! Ein großes Aufatmen, als die letzte große Konfrontation bewältigt wird. Das finale Hindernis ist überwunden, und selbst wenn es nicht gut für die Hauptfigur ausgegangen ist, gibt es für das Publikum die Genugtuung, alle Handlungsstränge in einem abgerundeten, gut durchdachten Ende zusammenkommen zu sehen. Selbst wenn ein Strang absichtlich offen gelassen wird (für den Effekt oder für die Fortsetzung), ist diese Geschichte nun zu Ende, und das Publikum ist zufrieden wie nach einem guten Essen.

Die Auflösung

Eine Geschichte ist eine Reise für das Publikum. Als Autorin oder Autor sind Sie wie eine Reiseleiterin oder ein Reiseleiter durch Ihre Geschichte. Sie bestimmen, was das Publikum fühlt und wann. Diese Gefühle bauen aufeinander auf, und je mehr Hochs und Tiefs Sie einbauen, desto besser.

Von ihrer allgemeinen Stimmung her sollten die Gefühle bestenfalls von Szene zu Szene zwischen positiv und negativ wechseln. Emotionen wirken am besten, wenn sie kontrastiert und nebeneinander gestellt werden. Das heißt, man muss als LeserIn bzw. ZuschauerIn die Hoffnung haben, dass es für die Figuren aufwärts geht, nur um dann durch eine überraschende Wendung der Ereignisse diese Hoffnungen zunichte gemacht zu fühlen.

Die Erzählung manipuliert ständig die Emotionen des Publikums, so dass es ein Gefühl empfindet, aber nicht lange genug, um sich an dieses Gefühl zu gewöhnen. Stattdessen wird es gezwungen, etwas Neues zu empfinden. Auf diese Weise kann eine große Bandbreite menschlicher Emotionen auf sehr kontrollierte Weise in eine Geschichte verpackt werden.

Sich darauf zu konzentrieren, was das Publikum während jeder Szene fühlen soll, ist unserer Meinung nach noch wichtiger als strukturelle Paradigmen oder organisatorische Prinzipien für die Handlung.

Die wichtigste Person in einer Geschichte ist nicht wirklich die HeldIn, auch nicht die ErzählerIn, nicht einmal die AutorIn. Die wichtigste Person in einer Geschichte ist jedes Mitglied des Publikums.

Foto von Aristeidis Tsitiridis auf Pixabay 


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